Friedrich Merz will zurück auf Anfang. Das hat er im Wahlkampf mehrfach, beinahe mantraartig, klargemacht: Sollte die CDU die Regierung übernehmen, werde das frisch eingeführte Cannabisgesetz „wieder rückgängig gemacht“. Punkt. Keine Grauzone, keine Relativierung. Einfach zurück auf Los, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Doch was heißt das eigentlich konkret? Und was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Gesetze zum Spielball ideologischer Reflexe werden und der Rechtsstaat zur Disposition steht?
Diese Fragen stellt kaum jemand. Dabei sind sie entscheidend. Und sie bohren sich tief in das Fundament unserer Demokratie.
Der Rückschritt, der Vertrauen zerstört: Was passiert, wenn das Gesetz gekippt wird?
Zunächst die nackte Realität: Es gibt über 100 Cannabis-Clubs, die in Gründung sind oder schon erste Anträge laufen haben. Menschen, die sich auf ein neues Gesetz verlassen, Geld investieren, Existenzen aufbauen. Alles legal. Alles transparent. Alles nach den Regeln.
Wenn Merz sein Wort hält, wäre das alles Makulatur. Ein Federstrich, der Hunderte von Menschen und ihre Investitionen in den Ruin treibt. Die Clubs müssten wieder schließen, die hart erarbeiteten Strukturen fielen in sich zusammen – und der Staat müsste sich auf eine Welle von Entschädigungsklagen einstellen, deren Kosten wir alle tragen müssten. Warum? Weil er erst mit dem Gesetz neue Rechtsgrundlagen geschaffen hat, auf deren Basis Bürger in gutem Glauben gehandelt haben. Wer das rückabwickelt, ohne auch nur den Hauch einer Übergangsregelung, zerstört nicht nur Existenzen. Er zerstört das Vertrauen in den Rechtsstaat selbst. Er demonstriert, dass Gesetze nur bis zur nächsten Wahl Gültigkeit besitzen.
Und dann ist da noch der Schwarzmarkt. Dieser hat sich nicht einfach in Luft aufgelöst, aber das neue Gesetz sollte ihn zurückdrängen – durch legale, kontrollierte Alternativen. Wenn diese plötzlich wieder verschwinden, öffnet man Tür und Tor für kriminelle Dealer, gefährliche Mischprodukte und verunreinigtes Gras. Dann gibt es keine kontrollierte Abgabe mehr über Vereine, sondern wieder über den Schulhof – direkt vor den Augen unserer Kinder.
Klartext: Ein Rückschritt wäre nicht nur ein politisches Signal. Es wäre ein kapitulation vor der Realität. Ein akutes Sicherheitsproblem. Und ein gesundheitspolitisches Eigentor von unermesslichem Ausmaß.
Der Fortschritt, der Kontrolle schafft: Was, wenn das Gesetz bleibt?
Dann wäre endlich Zeit, es weiterzuentwickeln. Denn ja – das Gesetz hat Lücken. Es fehlt eine klare, umfassende Strategie zur Aufklärung, die jenseits von Verboten greift. Die Regeln zur Besitzmenge sind uneinheitlich, die Polizei ist überfordert, und viele Kommunen wissen nicht, wie sie mit den Clubs umgehen sollen.
Aber das sind keine Gründe zum Rückdrehen. Sondern zum Nachbessern. Zum Optimieren. Zum Lernen. Denn klar ist auch: Ein legaler Markt ermöglicht Regulierung. Kontrolle. Steuereinnahmen, die dem Gemeinwohl dienen könnten. Qualitätssicherung und Jugendschutz, der auf Fakten basiert, nicht auf Moralisierung. All das gibt es beim Schwarzmarkt nicht. Dort regiert die Anarchie. Und wenn 70 % der jungen Menschen laut Umfragen eh schon Kontakt zu Cannabis hatten – ist es dann nicht die moralische und politische Pflicht, diese Realität zu gestalten, statt sie ignorant zu verdrängen und den Kopf in den Sand zu stecken?
Die Hürden des Irrsinns: Warum ein Verbot kein Federstrich wäre
Die meisten denken: Regierung wechselt, Gesetz weg. So einfach ist das nicht. Und genau hier zeigt sich die Destruktivität des Vorhabens. Ein neues Verbot braucht eine Mehrheit. Im Bundestag. Im Bundesrat. Es muss durch langwierige Ausschüsse, durch unzählige juristische Prüfungen. Je nachdem, wie weit der Markt bis dahin etabliert ist, könnte ein Rückbau sogar verfassungsrechtlich höchst problematisch werden. Stichwort: Vertrauensschutz in den Rechtsstaat. Und: Das Ganze muss auch mit dem EU-Recht vereinbar sein. Deutschland hat schon jetzt mit Brüssel gerungen, um überhaupt dieses Modell durchzubekommen.
Ein Rollback wäre also kein schneller Federstrich – sondern ein juristisch wie gesellschaftlich höchst riskanter, beinahe fahrlässiger, Kraftakt. Ein symbolischer Akt der Zerstörung.
Was also tun? Aufhören mit der Spielerei!
Man kann Cannabis persönlich ablehnen. Man kann Risiken sehen. Man darf kritisch sein und Bedenken äußern. Aber Gesetze, die mühsam verabschiedet, abgestimmt und gesellschaftlich eingebettet wurden, nur deshalb rückgängig machen, weil man selbst eine andere Meinung hat oder sich einem ideologischen Dogma unterwirft? Das ist nicht konservativ – das ist destruktiv. Das ist anti-demokratisch.
Gerade eine CDU, die immer von Verlässlichkeit, Stabilität und dem Wert des Rechtsstaates spricht, sollte sich fragen, was für ein desaströses Signal das wäre. Denn wenn die Botschaft lautet: „Was heute erlaubt ist, kann morgen wieder verboten sein – je nach Wahlausgang und politischer Opportunität“ – dann haben wir ein echtes Problem mit der Stabilität unseres Rechtssystems und dem Vertrauen der Bürger in ihre Regierung.
Klartextfrage an Friedrich Merz, die über Cannabis hinausgeht:
Wollen Sie wirklich ein Land regieren, in dem Gesetze keine Verbindlichkeit mehr haben? In dem politische Inhalte durch ideologische Reflexe ersetzt werden, die nur der Selbstbestätigung dienen? Und in dem Bürger für ihr rechtskonformes Handeln nachträglich bestraft und enteignet werden?
Oder geht es am Ende gar nicht um Cannabis – sondern um ein autoritäres Politikverständnis, das sagt: „Was mir nicht passt, wird gelöscht, egal welche Konsequenzen es hat“?
Wenn das der neue Stil werden soll, dann ist nicht nur ein Gesetz in Gefahr. Dann ist es das Vertrauen in die Demokratie selbst. Und das ist der größte Schaden, den man einem Land zufügen kann.




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